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Geld und Leben.

Nein, eine Filiale der Volks- und Raiffeisenbank Bobingen ist „Die Bank“ nicht. Du stehst noch auf der feierabendverwaisten Straße, da weißt du schon: gleich wird es kostspielig, gleich wird bewertet.
Wer sich „Die Bank“ nennt, hat etwas anderes im Sinn, als derjenige, der „Heidi’s Eck“ eröffnet. Und wer da hingeht, der auch. Warum ich da hingegangen bin? Weil ich Glück hatte und eingeladen wurde. Und ich wollte dahin so gerne mal eingeladen werden! Denn leisten, nein, leisten kann ich mir das nicht. Es ist nicht so teuer, dass man rot oder tot umfällt. Aber es ist so teuer, dass ich mir denke, „Dezember, da trudeln doch wieder die Versicherungsrechnungen ein, die kleinen Anverwandten wollen mit mehr als nur einem Gutschein fürs Kinderzimmeraufräumen beschenkt sein (was auch ein Eigentor wäre) und außerdem kommt man ja aus beruflichen Gründen bestimmt irgendwann einmal dorthin“. Komme ich aber nie, ich komme aus beruflichen Gründen allenfalls an das Salatbuffet von Edeka im Hanse-Viertel. Nun gut, die beste Begleiterin meinte: Bevor einen Weihnachten mit seinen üppigen Gelagen erschlägt, sollte man sich doch schon einmal etwas Gutes tun. Eine Argumentation, der man folgt, weil man ihr folgen will. Nun ist mein Geschmackssinn nach wie vor eher auf „teilgenommen“-Niveau. Bei 75% bin ich mittlerweile aber immerhin, schätze ich. Insofern werde ich mich hier allerdings nicht entblöden, die Speisen zu beurteilen. Was ich sagen kann: Vorab Gänseschmalz mit drei Sorten warmem Brot – sensationell. Das Rinder-Tartar delikat, von mir aber leider nicht zu essen, weil mir Pfeffer die Geschmacksknospen wegballert wie man es sonst nur aus Battlefield 1 kennt. Die beste Begleiterin hat’s aber genossen, und ich durfte das okaye Wachtelei haben. Danach gab’s zu meiner Linken Pecorino-Maronenravioli mit Alba Trüffel. Gut! Und für mich Zanderfilet mit allerlei Zeugsel. Der Fisch war Fisch. Da hatte wohl keiner so richtig Interesse dran. „Zander aus der Müritz? Den brät man auf der Haut und gut ist“, so schmeckte der. Aber dazu gab es ein kleines Blutwurst-Sandwich. Also Blutwurst und dann so eine krosse Brotschicht drauf. Daran wiederum hatten ganz klar alle Beteiligten großen, großen Spaß. Sauerkraut klasse, rote Bete passen bei mir noch nicht so, können aber gut gewesen sein. Zum Nachtisch dann Kokos-Zitronengras-Creme Brûlée mit Kaktusfeigensorbet und Schliere Mangokompott. Also warm, Zimmertemperatur und kalt sowie weich, knackig und matschig. Fein! Die beste Begleiterin trank einen Côtes du Rhône, lecker, aber preislich „sonst geht’s gut?“, ich die obligatorische Flasche Mineralwasser, ohne die leider nix funktioniert. Das zu dem Thema Speisen & Getränke, was für ein Restaurant, oder in diesem Fall eine Brasserie, ja nicht uninteressant ist. Aber worüber ich schreiben möchte, ist vielmehr das hier.
Es war ein Freitagabend, es würde voll werden. Uns wies man einen Tisch zu, der aussah wie viele andere und mitten im Raum stand. Links neben uns ein Pärchen, rechts neben uns ein Pärchen. Ganz schön nah. Es gibt in diesem Bereich nur Zweiertische, und sie sind relativ lang. Was zu der lustigen Haltung führt, dass die beiden, die einander gegenübersitzen und einen schönen Abend zu zweit verbringen möchten, immer die Hälse vorstrecken, als wären sie sehr hungrige oder sehr kussbereite Schwäne. Allerdings tun sie dies nur aus dem Grund, sich überhaupt verstehen zu können. Die Stimmen sind entsprechend ebenfalls etwas lauter. All das: ist nix für mich. Ich kann nicht laut sprechen, ich bin schon froh, wenn es in meiner „normalen“ Lautstärke nicht klingt wie das Todesröcheln einer Nachtigall. Also fragte die beste Begleiterin den Service nach einer Alternative und nannte die Umstände. Sie machten es möglich. Das war 1) wohl nicht ganz einfach wg. volles Haus und 2) das, womit ich nicht gerechnet hätte und 3) super. Denn sonst hätten wir gehen müssen; und wir mussten schon ein paar Mal gehen, immer traurig. Erstes Vorurteil weg, denn: Die Bank ist nett und kümmert sich.
Von unserem neuen Tisch aus konnten wir auf mehrere Gruppentische schauen. Und bekamen viel mehr als von den alten Plätzen aus davon mit, wie hier die Gäste so aussahen. Da gab es zum einen Familien mit erwachsenen Kindern. Die Söhne hatten sich gekleidet, wie sich spätpubertierende Söhne erfolgreiche Investmentbanker vorstellten. Sie alle trugen Varianten von hellen Hosen, hellblauen Hemden, gemusterten Krawatten, darüber dunkle Blazer, und sie hatten schlabberige Frisuren. Die Töchter sahen aus wie überall, nämlich so, dass man sich verkniff zu sagen: „Hübsch, aber ein bisschen zu juni-esk, oder Schätzchen?“. Die Mütter dazu waren hübsch und etwas ausgemergelt, die Väter trugen Jeans und Sakko und ein offenes weißes Hemd und angefältelte Coolness sowie Kreditkarten in der Hosentasche. An dem Tisch, wo Selfies gemacht wurden, waren die vergleichsweise Verwegenen. Eine Frau, drei Männer, und die drei Männer – und das scheint mir Die Bank auszumachen – sahen nicht aus wie Künstler, sondern wie Männer, die Künstler managten oder aber ein Musiklabel hatten. Die Künstler selbst hingen wohl irgendwo und soffen sich mit Beck’s Gold dicht. Die Frau war entweder tatsächlich Sängerin oder die PR-Frau oder Praktikantin. Als ich den Kopf von halblinks bis ganz nach rechts drehte, begriff ich etwas. Hier saß arbeitendes Geld. Kein altes, kein neureiches, wenig Halunkengeld, sondern solches, das man sich mit Zahlencleverness verdient und versteuert hatte. Und nun in die üblichen Gegenstände, in die Ausbildung der Nachkommenschaft, in die Absicherungen vorm Leben und in ein paar Insignien investierte. Neben dem Teil, den man aufgrund eben seiner Zahlencleverness gewinnbringend anlegte. Zu der Zahlencleverness kam auch noch ein Bewusstsein. Zahlen veränderten sich, aber sie starben nicht. Menschen schon. Wenn es dem Markt zu viel wurde, rauschten die Zahlen in den Keller. Wenn es der Seele oder dem Körper zu viel wurde, rauschten diese in die Klinik oder mit Pech gleich 1,80 unter die Erde. Also sagte die Ratio immer „Pass auf!“, manchmal „Genieße den Augenblick!“ und ab und zu „Das letzte Hemd hat keine Taschen.“. Der kleine, unausrottbare Reihenhausbubi in uns wisperte dann noch „Die Bank ist voll cool!“. Und darum landete man da dann eben. Gutes Essen, gute Location. Alle geben gerne Geld aus, verschwenden es aber nicht. Alle wissen zu schätzen, was sie bekommen, haben aber auch im Blick, was sie dafür bezahlen. Alle machen Sport, aber manchmal gewinnen auch das Sofa oder die Schokolade. Allen wird manchmal mitten in der Nacht klar, dass sie es im Leben schon ziemlich gut getroffen haben, aber keiner steht deswegen auf, um schuldbewusst schnell eine Online-Überweisung an Ärzte ohne Grenzen zu machen. Alle, die hier sitzen, sind sich etwas ähnlich. Mehr oder weniger.
Denn als ich am Ende des Abends Richtung Garderobe ging, um unsere beiden Mäntel zu holen, passierte ich einen Zweiertisch. An diesem saß ein Mann, der mir nicht aufgefallen war, denn er sah aus wieder jeder andere, langweilige Dinge im- und exportierende Millionär. Und da saß eine Frau, die uns schon den ganzen Abend aufgefallen war. Sie trug ein grafisches Etui-Kleid, vor allem aber eine Frisur, wie man sie aus Filmen der 50er oder 60er kannte. So etwas Blondes, Onduliertes oder Wassergewelltes, ganz leicht Helmiges, eher Kurzes. Der Berechnung nach müsste sie – wenn sie mit der Frisur begonnen hatte, als diese topmodern gewesen war – so an die 90 Jahre alt sein. Sie sah aber aus wie knapp über 60. Hervorragende Arbeit oder Charakter? Diese Frau, die irgendwann einfach Schauspielerin gewesen sein musste, musterte mich sehr genau. So genau, dass ich kurz stehen blieb. Ihr Blick ging von oben nach unten und dann wieder zurück. Dabei sah sie nicht nur die übliche „Kann man immer tragen, wenn es etwas dunkel ist“-Kleidung. Sondern auch mein brandneues Lymphtape, das sich auf knapp vier Zentimeter Breite vom linken Ohrläppchen Richtung linkes Schlüsselbein zieht, knapp über der noch gut sichtbaren Narbe endet und dem man wohl eindeutig die Farbeinstufung „knallpink“ anheften muss. Die formvollendete Lady schaute also auf – tja, auf mich eben. Langsam. Seeehr laangsam. Und dann lächelte sie. Keine Ahnung, warum. Aber es sah aus, als hätte ich gerade den, nein ihren Kreditwürdigkeitstest bestanden. Und dann lächelte ich.
Ehrlich gesagt, ich gehöre nicht in Die Bank. Leider. Vielleicht. Ich fühle mich eher bei „Heute Nr. 52 oder 53?“ zu Hause. Aber (Notiz an mich: dieses Bild mit der Psychologin besprechen!) als hätte das Lächeln der Dame eine Flasche aufgeschraubt, freute ich mich plötzlich ganz außerordentlich, dass ich hier sein durfte. Ich freute mich über das schön angerichtete Essen. Über die Idee mit dem Blutwurst-Sandwich. Über die ausgesuchte Einrichtung, die tolle Treppe und die himmelhohen Decken. Ich freute mich, dass hier Menschen saßen und aßen und tranken und redeten, statt in ihre rechteckigen Kästen zu gucken und Renditen auszurechnen oder das fünfzehnte Home Cinema-Equipment zu bestellen. Ich freute mich, dass ich den ganzen Mist des letzten Jahres durchgestanden hatte und die beste Begleiterin auch. Ich freute mich, weil jetzt die Adventszeit in Schwung kam, diese sehr schöne Idee von wem auch immer. Ich freute mich, etwas gegessen zu haben, was ich noch nie gegessen hatte, weil auch das mir sagte, dass es nicht langweilig werden musste, nur weil man älter wurde. Ich freute mich, dass mir jemand so einen schönen Abend geschenkt hatte. Ich freute mich über die Lässigkeit der Barkeeperin, die Aufgeregtheit der Servierkraft, den Gleichmut der Lichter draußen und über die Frage unseres Tischnachbarn „Was haben wir da jetzt gerade gegessen?“. Dann freute ich mich noch einmal über dieses raffinierte Miststück Blutwurst-Sandwich.
Ja, ich genoss diesen Abend in Die Bank. Gutes Essen an viel Schein. Aber manchmal ist Schein auch warm, und warm habe ich es sehr gerne und weiß es zu schätzen. Also danke, das war schön. Morgen gibt’s wieder Nr. 53. Auch gut.

https://www.diebank-brasserie.de

 

 

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