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Das erste Mal: Chinesisch essen

Da wo ich aufgewachsen bin, gab es neben dem obligatorischen „Deutschen Haus“ nur zwei Pommes-und-Schaschlik-Läden, in die man wegen der Flipperautomaten ging, und dann noch den Griechen. Der dann ein Jugoslawe wurde und ein paar Jahre später wieder ein Grieche. Taverna Serreos? (Aber sich die eigene IBAN nicht merken können…) Bis sich der Grieche in einen Italiener verwandelt hatte, war ich schon weit weg. Ohnehin mochte ich das Steakhouse lieber, das war zwar nicht in unserem Dorf, aber manchmal fuhren wir da sonntags hin. Die Steaks waren mir egal, doch die Tischsets hatten das Motiv „1 Million Dollar“. Täuschend echt. Chinesische Restaurants gab es vielleicht auch irgendwo, aber wir hatten sie nicht auf dem kulinarischen Schirm. Wahrscheinlich wegen der angeblichen Dackelverarbeitung.
In Berlin sah ich dann die chinesische Botschaft an der Jannowitzbrücke, und das war die schrottigste Botschaft der Stadt – keine Werbung für die Gastronomie.
Also musste ich wildes Feuer-Pferd tatsächlich 743 Jahre alt werden, um mal „beim Chinamann“ zu speisen.

Die Lage beschrieb ich meiner Begleitung so: „Der ist da gleich nach der Autobahnabfahrt, gegenüber von der Esso-Tankstelle“. Wusste sie auch sofort, wo „der“ ist. Lage, Lage, Lage! „Hübsches Haus“, sagte sie. „Ganz knackige Internetseite“, sagte ich. Mehr fiel uns nicht dazu ein.
Es war mal wieder ein Freitagabend, also dunkel, und so ein bisschen Jack-the-Ripper-Wetter, wir hatten nicht reserviert, sondern bogen einfach nur rechts ab, machten neun Schritte – und waren drin. Der erste Gedanke: Das haben sie nun von ihrer 1-Kind-Politik. Denn das Reich der Mitte zwischen Autobahnabfahrt und Esso-Tankstelle war leer. Ein einziges Paar mit einer großen Flasche saß da. Und das bezahlte, sobald wir uns gesetzt hatten.

Eine recht forsche junge Frau brachte uns die hübschen Karten. So richtig hungrig waren wir nicht, und die Atmosphäre war jetzt auch nicht dazu angetan, es mal richtig krachen zu lassen. Also bestellten wir X05 und 021, dazu einen Pflaumenwein für die beste Begleiterin und eine große Cola für mich. Ob der leeren Weite des Raums sprachen wir instinktiv etwas leiser als sonst, was bei mir dann endgültig zum Mäuseräuspern wurde, und schauten uns um. Ein bisschen Weihnachten hatte Einzug gehalten, ansonsten war alles eher nüchtern, geometrisch, die Räume eigentlich ganz schön, aber entweder hatte der Interior-Designer am Abend zuvor zu viel Pflaumenwein gehabt, oder es hatte da eine mafiöse Connection mit Möbel Höffner gegeben. Dann kamen X05 und 021. Letzteres die Vorspeise, die wir uns teilten. Eine gedämpfte Jakobsmuschel mit Glasnudeln, Knoblauch und Frühlingszwiebeln in Sojasauce. Sah mir zwar eher nach Chili aus, aber was es auch war, für mich war es aus den bekannten, doofen Gründen zu scharf, für die beste Begleiterin jedoch prima. Die Jakobsmuschel fand ich nicht so toll, Glasnudeln hingegen sind Glibber im Abendkleid, klasse. Bei X05 handelte es sich um eine Hauptspeise, die auf der Weihnachtskarte stand. Nämlich „Drei Schätze in einem Topf – fluffige Hackklopse, Ei und Chinakohl in Sojasauce geschmort“. Klingt das nicht toll? War es auch! Wir 5 Schätze – 2 am Tisch, 3 im Topf – mochten uns jedenfalls. Und die Hackklopse waren wirklich fluffig! Noch nie so gegessen! Und dieses Adjektiv, wer darauf nur gekommen war! Fluffig! Fazit also: plima Essen. Getränke sind Getränke, wie der Riesling war, der dem Pflaumenwein folgte, hatte ich nicht gefragt, wir waren auch zu sehr mit der Schatzsuche beschäftigt gewesen. Die große Frage blieb tatsächlich: Warum war das hier so leer? Gute Karte, gutes Essen, Lage auffindbar, Preise okay, aber wir saßen an einem Freitagabend eine Stunde lang völlig allein im Lokal. Warum? Ich kam nicht drauf.

Als ich am übernächsten Tag an der Elbe entlangging und genervt vom Matsch war, obwohl wir doch Dezember hatten und kurz vor Weihnachten, und ich sogar bereits geträumt hatte, es würde schneien, so sehr wünschte ich mir das, denn Weihnachten und Schnee sind nun einmal gefühlt ein Memory-Kartenpärchen, fiel es mir ein: Warum sollte man in ein China-Restaurant gehen, wenn es da aussah wie im „Deutschen Haus“ meiner wir-wussten-es-nicht-besser-Kindheit? Ja, das Essen war toll gewesen, aber man kann sich auch tolles chinesisches Essen nach Hause aufs verpupste Sofa liefern lassen und drei bis neunzehn Schätze verschlingen, während man „Der Alte“ anguckt. Wenn ich ins China-Restaurant gehe, will ich Opium, Rotseidiges, Stäbchen und Keramiklöffel und runde Tische, auf der Weihnachtskarte – Weihnachten?? – können meinetwegen Schwalbennester oder Haifischflossensuppe stehen, aber doch nicht Rehrücken und Roastbeef, ich will Triaden-Atmo und Drachen und kleine Kaiser, ich will volle Teekanne China!

Es gibt drei Gründe, in einem Restaurant zu essen. 1) Ich kann/will nicht kochen, bin aber zu doof, einen Lieferservice zu ordern oder habe Hausverbot in der Dönerbude nebenan. 2) Die Küche soll so phantastisch sein, das will ich jetzt auch mal ausprobieren. 3) Das Essen ist gut, aber vor allem ist es ein Erlebnis, da zu sein – interessante Leute, toller Laden, um 23:15 Uhr macht der Sommelier Kopfstand ohne Kopf, so etwas. 2) und 3) sind es hier schon einmal nicht. Es sei denn, man findet es sensationell, dass die chinesische Bedienung hinten in der Ecke an ihrem iPad sitzt und wahrscheinlich Candy Crush spielt. Und 1) ist es leider auch nicht, denn zwischen Autobahnabfahrt und Esso-Tankstelle wohnt so gut wie niemand. Man kommt da nicht zufällig vorbei, man entscheidet sich dafür. Oder eben nicht.

Lustig war es trotzdem. Denn als sich die fluffigen Hackklopse unserem Tisch näherten, setzte dieses Torero-Auf in den Kampf-Ding aus „Carmen“ ein! Bis zum Begleichen der Rechnung und auf dem Weg nach draußen hallten in Folge Arien aller Art durch die zu leeren Räume. Bizet bizarr.

Und hier noch was für die Abteilung Bildung: China ist weltweit auf Platz 2 bei der Produktion von Bananen und von ungewaschener Wolle, und sogar auf Platz 1 bei Kartoffeln (!) und der Goldförderung. Das alles in Kombination mit fluffigen Hackklopsen und Lautsprechern, die Kaiserreiche beschallen können: Daraus lässt sich doch was machen, mein gutes China-Restaurant in 22607 Hamburg!
And finally:

Erstes Mal auch letztes Mal? Nein. Das probiere ich noch einmal. Allerdings hätte ich schon gerne die Hardcore-Variante. Meinetwegen auch mit jeder Menge Glutamat und Dackelhaaren.

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