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Das erste Mal: Fränkisch essen

Jeder Zweite ist ja gerade auf dem Trip „Low carb, high fat“. Fränkische Küche passt da nicht so ganz ins Konzept. Denn fränkische Küche ist „High carb, high fat, hinterher nicht mehr laufen können? Yep!“. Also: super.
Das Leben hatte sich überlegt, wir sollten mal nach Nürnberg. Also reisten wir und landeten abends im „Steichele“. Das „Steichele“ gibt es seit 1897, und ein paar der Gäste waren am Eröffnungsabend schon da. Die Besitzer hingegen sind inzwischen in der 5. Generation. Die Räume sehen aus, wie man sich das so vorstellt, abgesehen von der Beleuchtung, die ist ein bisschen hell, aber daran ist wahrscheinlich irgendein irischer EU-Kommissar schuld. Die Lampen selbst – sind das Hüftgelenke von toten Hirschen? Die Nachfrage macht’s nicht weniger seltsam: Es handelt sich um Original Schnitzereien, über hundert Jahre alt, und sie heißen: Lüsterweibchen. Aha. Nun denn, jetzt geht’s an die Karte.

Die beste Begleiterin wählt Krautwickel und Kartoffelsalat. Ich denke „Ach, ist jetzt auch egal“ und bestelle Schweineschäufele mit rohem Kloß und einem gemischten Salat. Krautwickel ist natürlich das Püppi-Essen der Speisekarte, wahrscheinlich noch nicht einmal vierstellig in der Kalorienzahl. Das Fleisch kommt aufreizend locker daher, und der Kohl gilt hier wahrscheinlich als Zeichen radikalen Veganismus. Der Kartoffelsalat liegt anmutig gelb in gelb da und ist unglaublich lecker. Aber machen wir uns nichts vor: die interessante Bestellung ist meine. So eine Kohlroulade kann man selbst in Westasien ordern. Aber Schweineschäufele? Allein das Wort kommt doch schon mit Schmackes um die Ecke.

Es sieht aus wie ein Stück aus einem der Leuchter hier. Tatsächlich handelt es sich um Schweineschulter. Mit – aufgepasst Germany’s Next Top Models! – Knochen und Schwarte. Richtig Schwarte, nicht „Huch, guck mal, da ist ja ein Fitzelchen Fehett!“. Sondern 3 Zentimeter weißes, gliberriges Hardcore-Geschmodder. Yeah, high, high, high fat! Die goldbraune Kruste ist dann rautiert und knusprig und unten ist wieder ein bisschen Fett dran, so dass man mit der Kruste etwas im Mund hat, was einen schneller süchtig macht als Kokain mit Marshmallow-Geschmack. Glaube ich. Das Fleisch unterhalb der Fettarchitektur fällt fast vom Knochen, der seinerseits so ein bisschen aussieht, als wäre er die muckelige Mammahöhle fürs Fleisch. Der rohe Kloß ist natürlich nicht roh, sondern groß und rund und gelb wie der Vollmond an diesem Abend und warm und lecker, vor allem mit der braunen Sauce, die eine echte Sauce ist und nicht so ein Maggi-Geplörre für Nichtschwimmer. Den Salat schiebe ich gleich zur besten Begleiterin. Eine Gabel Weißkraut, zwei Scheiben Rote Bete, reicht schon, hab’s kapiert, ist Salat, wenn auch von der guten Sorte.

Irgendwie erklärt dieses Essen ganz viel. Man sitzt „danach“ so rum, kloßschwer und denkt sich: Ach, jetzt bloß keine Veränderung. Alles soll so bleiben wie es ist. Vor allem ich hier – bloß so bleiben. Und ehrlich gesagt: Jetzt wäre ein Bier gut. Die beste Begleiterin bestellt ein Weizenbier, aber das verknüpfe ich mit unguten Erinnerungen, ich weiß noch nicht einmal mit welchen. Aber ich trinke zum ersten Mal ein Helles, genauer gesagt ein Ammerndorfer Hell, das so mild ist, man könnte einfach immer weiter trinken. Das macht man normalerweise wohl auch, wenn man ein Franke ist. Essen und Bier und Lüsterweibchen, das alles zusammen ergibt folgerichtig so etwas die Gründung der CSU. Zack, Rätsel gelöst.

Zwei Tische weiter sitzen zwei alte Ehepaare, die noch einen Opa zwischen sich geschoben haben (die 5 von der Eröffnungsfeier). Das geht dann da immer so zwischen Lachen und Gähnen hin und her. Wenn man mal ein Wort heraushört, versteht man es nicht, weil: fränkisch. Also so Rocker-Fränkisch, nicht das aus dem Fernsehen von „Pelzig unterhält sich“. Als der Solo-Opa fast vom Stuhl fällt, stehen die anderen Vier auf, lehnen Opa an eine Wand, die Männer ziehen sich mit geübtem Jacken- und Schalwurf an, helfen dann den langohrläppigen Gattinnen in die praktischen Anoraks und verabschieden sich mit bisschen-sehr-drücken und bisschen-langem-Wangenküsschen von der Bedienung, dann geht’s hinaus im Gänsemarsch, Opa also freihändig. Klappt. Das Steichele ist offensichtlich ihr Stammlokal, die sind Schäufele-gestählt, das sieht man dem Hüftschwung an, einem Hüftschwung, zu dem ich keineswegs mehr fähig bin.

Mehr rollend als gehend passieren wir das Rotlichtviertel Nürnbergs (gibt es etwas Traurigeres? Ich muss jetzt immer an das Wort Lüsterweibchen denken, auch wenn’s falsch ist), zurück in unser Hotel. Versehentlich lege ich mich gleich bei Ankunft im Zimmer auf das Boxspringbett. Ich armes Tierchen im Spinnennetz. Game over, da ist nichts mehr zu wollen. Das nächste Mal bewege ich mich gut neun Stunden später. Schweineschäufele – danach zettelt keiner mehr Volksbegehren an.

Am nächsten Abend probieren wir es noch einmal. Die beste Begleiterin hat Fleischküchle und Wirsing, die Frau schwächelt irgendwie. Ich fechte elegant gegen ein Kilo Rostbratwürstchen und noch ein Kilo „blaue Zipfel“, das sind in Essigsud gegarte Bratwürste, über denen sind dann eine Tonne Zwiebeln und außerdem liegt ein halbes Fass Sauerkraut an zwei Baumscheiben Brot herum. Wir haben vereinbart, dass die beste Begleiterin mich heute bremst, tut sie aber nur halbherzig. Das Bier lassen wir weg, als ob das an irgendwas schuld gewesen wäre. In „Böhm’s Herrenkeller“ – täuscht mich alles oder haben die Franken echt merkwürdige Bezeichnungen für alles Mögliche? – sehen die Touristen (man erkennt sie am Wechsel der Gesichtsfabe, wenn die Teller kommen) ziemlich schnell ziemlich ermattet aus. Ja, für fränkisches Essen muss man gebaut sein. Bezieht man das Thema „Figur“ ein, ist es auch eine Richtungsentscheidung. Wer fränkisch essen geht, sollte vorher seine Ambitionen am Kleiderhaken des Seins abgegeben haben. Zumindest die mittelfristigen. Die für den Abend sowieso. Fränkisches Essen wurde für eine Sorte Mann erfunden, die es heute nicht mehr gibt. Außer vielleicht im Schneeräumgewerbe, das aber nun wahrlich auf dem absteigenden Ast ist. Trotzdem: Saulecker. Aber mir reicht’s nach zwei Abenden. Für ungefähr zwei Jahre. Dann will ich wieder Schweineschäufele unter Lüsterweibchen.

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