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Hanya Yanagihara: Ein wenig Leben

Ja, überraschenderweise handelt dieser Roman nicht von 4 hässlichen Losern, die so empathisch sind wie Ikea-Verpackungen und ein ähnlich aufregendes Leben haben wie selbige, am Boden des Abholmarktes. Man kann diesem Buch an vieler Stelle ein „bisschen viel“ vorwerfen. Oder es lassen und in einer großartigen Geschichte versinken, bis… man nach knapp 1.000 Seiten wieder auftaucht und guckt, ob man noch verheult aussieht, bevor man rausgeht, um den langweiligen Kram zu erledigen, den das eigene 08/16-Leben in einem bezahlbaren Viertel der unbedeutenden Hansestadt Hamburg so mit sich bringt.
Worum geht’s bei „Ein wenig Leben“ von Hanya Yanagihara? Wie begleiten vier Männer durch 3 Jahrzehnte. Unterschiedlich begabt (aber alle begabt), unterschiedliche Ethnien, unterschiedliche sexuelle Orientierung, unterschiedliche Startpositionen. Zu Beginn des Buches sind sie auf dem Sprung. Das Studium abgeschlossen, erste Schritte im Berufsleben oder damit beschäftigt, sich den Karriereweg (der kellnernde Schauspieler etc.) noch freizumachen, privat sowieso auf der Suche, was denn passen könnte.
Im Mittelpunkt steht Jude St. Francis. Ein Jurist mit einer absolut, absolut grauenhaften Kindheit, die seelische und körperliche, nein: nicht Spuren, sondern kilometertiefe, lebensgefährliche Schluchten hinterlassen hat. Was macht so eine Landschaft aus einem überaus talentierten Menschen? Was bedeutet das für seine Freunde, seine Vertrauten? Judes Geschichte ist mitreißend und verstörend, so muss es ja auch sein, aber sie ist vor allem etwas ganz Einfaches (was kaum eine Geschichte schafft), nämlich berührend und unvergesslich. Erzählt wird ebenso eindrücklich, wenn auch nicht ganz so extensiv, das Leben vom Schauspieler Willem, von dem Maler JB und dem Architekten Malcolm. Ich gehe hier mal nicht weiter darauf ein, gesagt sei jedoch: Jede hat ihren Reiz, jede liest man mit, mindestens, Interesse. Ach Quatsch. Man liest sie mit Begeisterung.

Und insgesamt? Ja, natürlich sind da die Klischees. Natürlich ist das mit dem Luxusleben ein bisschen simpel. Und das Hohe Lied der Freundschaft ein bisschen dick aufgetragen. Es wird sich ein bisschen zu oft entschuldigt, weil es eben alles so feinfühlige Charaktere sind. Es ist immer ein bisschen sehr viel Gefühl, und die Kitschschublade wird auch ziemlich häufig aufgerissen (Kitsch und Süßigkeiten, die miesen Verführer). Und dennoch. Wenn einem der Sinn nach einer emotionalen Reisebegleitung ist, wenn man es liebt, interessant beschriebene Charaktere über dreißig Jahre zu verfolgen, wenn man Freude hat an Betrachtungen, die unter das Make up gehen, wenn man einfach einen Roman lesen will, der Liebe und Drama und Abgründe und Erfolge hat, wenn man mal wieder richtig schön miterleben und mitleiden will – dann ist „Ein wenig Leben“ wunderbar. Ich Glückspilz war genau in der Stimmung dazu und habe mich jeden Tag darauf gefreut, weiter in diesem viel gelobten Roman lesen zu dürfen.
Also: Schon wieder ein tolles Buch. Prima. (Und schon wieder eines, auf das man sich setzen und einen zehn Zentimeter größeren Eindruck machen kann. Falls das gerade notwendig sein sollte.)

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