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Nathan Hill: Geister

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Bereits vor einer Weile gelesen und inzwischen oberkanteunterlippetief in neuem Romanfluss, geht mir dieses Buch nicht aus dem Kopf. Gespenstisch oder erklärbar?

„Geister“ wird immer wieder als „prophetisch“ bezeichnet. Weil im ersten Kapitel eine Frau Kieselsteine auf einen konservativen Politiker wirft, der das dann PR-mäßig zum terroristischen Angriff umdeklariert, weil er plötzlich die Chance wittert, Präsident werden zu können. Oder so. Und noch aus einem anderen Grund. Der ähnlich dünn ist. Ja, ich finde an dem Buch nichts auffällig „prophetisch“. Und selbst wenn es das doch ist – ist das eine literarisches Gütesiegel? Egal. Worum geht’s also?

„Geister“ heißt im englischen Titel „Nix“. Und der Nix wiederum ist ein heftiger Geist, von dem der aus Norwegen in die USA eingewanderte Frank seiner Tochter Faye erzählt. Und auch mit solchen Schauergeschichten ihr Leben prägt. So wie sie später das ihres Sohnes prägen wird, als sie die Familie verlässt, als eben jener Samuel elf Jahre alt ist. Und dann gibt es natürlich auf über 800 Seiten noch weitere Handlungsstränge, sowie ein sehr besonderes Geschwisterpärchen, das Computerspiel Elfscape, in dem erwachsene Männer ihr zweites Leben leben, die dreist-kommt-weiter-Studentin Laura und mehr.
Erzählt wird auf zwei zeitlichen Ebenen. Da ist einmal 1968, Faye verlässt ihr Heimatstädtchen und geht gegen den Willen des Vaters (Du bist nichts Besonderes! Verhalte dich nicht so!) mit einem Stipendium, sie ist eben doch etwas Besonderes, nach Chicago. 1968 – ist klar, da geht es zur Sache, und Allen Ginsberg ist auch dabei. Die zweite Geschichte ist die von Samuel, die 2011 spielt, als seine Mutter (siehe oben) einen konservativen Politiker mit Kieselsteinen bewirft, ihr daraufhin mächtig Ärger droht, ihm aber auch, denn sein Verleger verlangt von ihm, seinen bereits üppig bezahlten Buchvertrag endlich zu erfüllen; und zwar indem er eine gepfefferte Biografie über seine böse Mutter schreibt. Eigentlich ist Samuel ja tagsüber Lehrer und nachts Gamer, aber jetzt muss er wohl ran, als Alternative bliebe ihm nur: untertauchen in Jakarta…
Das klingt alles ganz munter. Vielleicht ist es das auch. Aber da man Belletristik ja oft lesen kann, wie es einem gerade in den eigenen Kram passt, habe ich vor allem die Geschichte von Kindern gelesen, denen die Eltern (oder andere Erwachsene) mal gleich ein steinschweres Paket aufs Rückgrat packen und dann sagen: Nun lauf du schön, mein kleines Individuum. Was sie dann auch tun. Nur nicht den Weg entlang, den sie freiwillig gewählt hätten. Sondern im Zweifelsfall den kürzesten oder einfachsten oder naheliegendsten.

Was dieses Buch sagt ist, mach was du willst, aber irgendjemand zieht schon längst ein paar Strippen, die du gar nicht siehst, und die geben vor, wo es bei dir langgeht. Auf der einen Seite. Auf der anderen Seite bleiben in jedem Leben aber dessen ungeachtet noch genug zu treffende Entscheidungen. Und nur wenn sie schmerzen, bewirken sie wahre Veränderungen. Und diese wiederum sind es, die ausmachen, ob es dein Leben oder dein dir zugedachtes ist.
An einer Stelle erkennt Samuel, dass man die Menschen nicht, wie sein Gamer-Freund Pwnage glaubt, in vier Kategorien einteilen könnte. Sondern dass sie alle nur eins sind: Rätsel. Was macht man, wenn einem ein Rätsel begegnet? Wie geht man mit Rätseln um? Nur am Rande: Wahrscheinlich ist es diese Frage, die mich immer wieder an das Buch denken lässt.

Der Schluss ist übrigens klasse. Das ganze Buch ist klasse.
Und noch etwas ist das auch:

Ich habe bei diesem Buch das erste Mal die „Papego“-Möglichkeit gehabt. Papego ist eine App, die es bei Büchern, die das zulassen, ermöglicht, mit dem Handy die zuletzt gelesene Stelle zu fotografieren. Dann lädt die App die nächsten Seiten. 25% des Buches sind das Maximum. Vorteil: Ich sitze abends an der Heizung und habe den Schinken in der Hand. Am nächsten Morgen lese ich in der S-Bahn auf dem Handy weiter. Was nicht nur erstaunlich gut geht, sondern mir auch das Gewicht von „Geister“ in der Tasche erspart. Das sind nämlich 962 Gramm. Tolle App, ich bleibe da mal dran… Vor allem, weil ich jetzt „Ein wenig Leben“ lese. Kein Papego. 1018 Gramm. Grandioses Buch. Was soll man machen? Elende Schlepperei.

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