Irgendwann habe ich die Eitelkeit entwickelt, nur in Straßen wohnen zu wollen, die nicht so heißen. Also nicht „Hauptstraße“, „Bahnhofsstraße“, „Schusterstraße“. Sondern „Hauptboulevard“, „Bahnhofsavenue“, „Schusterallee“. Ein Spleen, okay. Jetzt allerdings ist mir das Maximum an Adress-Coolness begegnet.
Wahrscheinlich ist es ein Erbe des exzessiven Monopoly-Spielens, damals in Bremen-Nord, als die Winter noch lang und die Träume bezahlbar waren (alle Träume, bis auf den des Erwerbs der Schlossallee): eine tolle, glänzende Adresse haben. Eine Adresse, wo man gleich spürt, da wohnen nur Menschen, die echt was auf dem Kasten beziehungsweise unter dem Dach haben. Zu der Zeit, als ich diese Idee als attraktiv entdeckte, war das ein ganz schön hoher Anspruch. Inzwischen allerdings sind Straßennamen ja tagesbrotiges Marketinggedöns. Schlimmer nur noch die pompöse Tauferei von Gewerbequadern. In HH entsteht gerade wieder so ein Komplex. Französischer Name mit ganz viel Akzentstrichmikado. Kein Mensch blickt da aussprachetechnisch durch, und wenn es einer versucht, hört es sich grauenhaft an. Wie immer, wenn Hamburger nach Paris duften möchten. Es klingt stets ein wenig wie eine Soundvariante von kaltem Labskaus. Nun ja.
Früher war es so, da schaute man bei der Namenssuche einfach, wer wohnt in der Straße oder was bekommt man da oder wer treibt sich da gerne herum oder schlicht: wo liegt die. Daher Bäckerstraße, Königstraße, Nordweg und so Zeug. In Hamburg ist es noch viel schöner als in anderen deutschen Städten, da hat man sich vom Jungfernstieg über Rutschbahn bis Bäckerbreitergang richtig was einfallen lassen. Meine Straße heißt so wie die Produktionsstätte, die da mal aktiv war und hat auch noch ein Adjektiv im Namen, und ich arbeite in den Colonnaden – da ahnt der Detektiv ebenfalls, wie’s da aussieht. Klingt aber alles schon verdammt gut. Dachte ich.
Doch dann fuhren wir nach Glückstadt. Schon einmal ein sensationeller Name für eine Stadt, ein Versprechen mindestens. Dahinzuziehen kann kein Fehler sein. Es sei denn, man wollte eigentlich nach Glücksburg; dann ist es doof. Und in jenem kleinen Städtchen, das von König Christian dem IV. auf dem Papier mit dem Ziel entworfen wurde, mal größer als Hamburg zu werden, sah ich die Adresse für die, die schon alles haben. Trockener geht’s nicht. Und auch wenn das mit >HH nicht geklappt hat (13.000 Einwohner : 1,79 Mio., also mehr so ein HSV gegen Bayern Ergebnis): vergesst Am Feenteich, Ballindamm, Rothenbaumchaussee und sogar Große Freiheit. Hier kommt der Straßenname, der alles zusammenfasst, was Religion, Philosophie und Naturwissenschaft über die Verortung der menschlichen Existenz im Weltgeschehen allgemein und im Städtebau insbesondere zu sagen haben und was auf der Visitenkarte der Inbegriff des steh-ich-drüber-Understatements ist:
Glückstadt hat’s einfach drauf, oder?
Und weil wir hier gerade so schön im Siegerstraßenmodus sind: Nehmt das, Ihr Viralkampagnenäffchen, so macht man in Glückstadt die Leute heiß aufs Produkt! So geht Reklame, die funktioniert! So!!
Glückliches Glückstadt, glückliche Glückstädter.
(Nach 18 Minuten hatten wir alles, aber wirklich alles in Glückstadt gesehen und fuhren weiter nach Friedrichskoog, wo wir uns zwei Stunden lang beglückt den Seehund Snorre und seine Kumpel anschauten, die Fischköpfe aßen, auf dem Rücken schwammen und keine Kunststücke konnten, gar keine. Super.)